sensual screaming

soft kills

Performance für vier Schlagzeuger, e-drums, Stimmen und 4-Kanal- Soundsystem

Rabiate Zustände.
Die meisten von uns erleben zum ersten Mal überhaupt so etwas wie einen Zustand. Über den Großteil der Zeit ging es munter nach vorne, immer im flow, und meistens eher auf dem oberen Drittel der Welle. Und jetzt ein Zustand. Nur, wie ist er denn. Kraftlos, leer, verlorener Glanz. Aber irgendwie auch intensiv. Zeitwahrnehmung verschoben, timeshift.
Man sagt Krisen zerstören nicht vorrangig, sie beschleunigen. Und so sitzen wir vor unseren Bildschirmen, inmitten des so lange befürchteten Verlusts der physischen Relevanz, und lesen achselzuckend die Ankündigung eines weiteren livestreams befreundeter Künstler*innen bevor wir wieder im doomscrolling versinken.
Rabiat? Ohne uns wirds still. Naja.

In soft kills führt sh|ft zwei Konzepte zusammen die auf unterschiedliche Weise Zustände digitalen Medienkonsums beschreiben, fortführen oder in ihrer Umkehrung prozessieren.
Johannes Werners Arbeit sensual screaming trifft ASMR-Ästethik auf Virtuosentum und Körperlichkeit, yfi-tops/fuck-ferneyhough von Hannes Brugger speist die resultierenden Klangbilder in seine markov-basierte Reverse-Maschine und generiert Popmusik zum Nachmachen.
Sensual screaming basiert auf Klangmaterial aus der ASMR-Kultur und bedient sich kompositorischen Mustern der Minimal Music. Audio-samples verschiedener Akteur*innen der seit Jahren erfolgreichen ASMR-Szene werden mittels Drumpads getriggert und in rhythmischen Figuren aneinandergereiht und geschichtet, repetitive Muster werden aufgebaut, verändert und weiterentwickelt. Mit der eigenen Stimme untersuchen die Schlagzeuger die von ihnen ausgelösten Klangereignisse fremder Stimmen, suchen in den resulting patterns Linien und Verbindungen die sie imitieren und verfremden. Durch drei zentrale Prinzipien der Minimal Music, Repetition, Verschiebung und Betonung von daraus resultierenden Figuren entsteht ein trance- artiger, doch stetig wandelnder Klangkosmos.
Nicht erst seit Corona erreicht ASMR ein großes Publikum mit Millionen von Nutzern, in der Krise impliziert es jedoch umso ein dringendes Verlangen nach Nähe und sinnlicher Erfahrbarkeit inmitten körperlicher Isolation. Diese klangliche Illusion von Zärtlichkeit und Intimität ohne jeglichen physischen Kontakt wird kontrastiert durch die Körperlichkeit eines Schlagzeugensembles, das durch den physischen Akt des Schlagens zum Auslöser jener Klänge wird. Körperlichkeit und Entkörperung treten in einen Dialog, die eigene Stimme wechselt zwischen den Räumen, als Verbündete oder game changer.
Hannes Brugger entwickelt eine auf maschinellem Lernen basierte Struktur, die mittels Markov- Ketten Popmusik analysiert und dekonstruiert und aus diesem Material neue Musik generiert. Diese Programmierung wird in einem Live-Prozess auf die am Ende von sensual screaming konstruierten Klangbilder angewandt. Das enharmonische Ausgangsmaterial wird gestimmt und harmonisiert und nach Wahrscheinlichkeitsprinzipien anhand ikonischer Stücke der Popkultur in Skalen kategorisiert. Mit stochastischen Mitteln werden Tonfolgen generiert denen die samples durch Convolution unterworfen werden, immer unter Berücksichtigung der Platzierung im rhythmischen Gefüge. Die ASMR-Klänge durchlaufen so einen Prozess, der über nervöse Exposition und Neuordnung einen neuen Kontext herstellt, in dem entkörperlichte Stimmen zu flüchtige Gefährten, vertrauten Klangmomenten, werden.
In dieser Spiegelstruktur werden die Performenden zum Spielball, waren sie zuvor noch Auslöser agieren sie nun als Medium im Dialog der Klangquellen.

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