sh|ft feat. Landesjugendensemble Neue Musik Baden-Württemberg

multimediale Stückentwicklung im Kollektiv

Große Arbeitsphase des LJE Neue Musik vom 31.08. - 06.09.2024 im Musikzentrum Baden-Württemberg mit Abschlusskonzert am 06. September 2024 im Kulturzentrum Dieselstrasse Esslingen.

Für die Arbeitsphase mit dem Landesjugendensemble Neue Musik Baden- Württemberg entwickelte sh|ft ein Vermittlungskonzept, das unter dem Label Doing Expanded Music steht. sh|ft spricht damit jenseits der Interpretation von modernem Repertoire und seinen Spieltechniken einen für das eigene Schaffen zentralen Bereich an: Die Arbeit als Composer-Performer, die im Kollektiv Stücke entwickeln und inszenieren.
Gelungen ist eine Arbeitsphase, in der Jugendliche ein breites Spektrum an kollektiver Multimediakomposition erleben und praktizieren. Das so entstandene Programm beinhaltet neben einem von Johannes Werner komponierten und Hannes Brugger programmierten Stück für 9 Performer:innen und Smartphones eine vom Ensemble produzierte Videoarbeit, die live vertont wurde, sowie zwei Adaptionen historischer Avantgarde-Konzepte, die mit heutigen Mitteln einer Neuinterpretation unterzogen wurden.

Das Konzept baut auf drei Grundsätzen auf:

  1. Entscheidungen werden nicht hierarchisch sondern gemeinsam getroffen. Das Ensemble durchläuft alle produktionsrelevanten Arbeitsphasen, von der Auswahl der Inhalte über Materialsammlung, Konzeptionsgespräche, Improvisation, Erstellung von fixed-media-Elementen bis hin zur ästhetischen Ausgestaltung und Aufführungssituation.
  2. Der Suche nach Erweiterungen des eigenen Instrumentariums durch mehrere mediale Ebenen: Multimedialität wird dabei nicht übergestülpt, sondern aktiv hergestellt. In der Vorproduktion wie im Live-Moment sind Kameraführung, Videoschnitt, Licht, Animation ebenso in der Hand der Teilnehmenden wie die Klangerzeugung und improvisatorische Gestaltung.
  3. Die verwendeten Mittel und Werkzeuge sind möglichst kostengünstig zu erwerben. So können gewonnene Interessensgebiete und Kompetenzen in die eigene Musikpraxis übertragen werden.

In hashed moments von Johannes Werner und Hannes Brugger werden Smartphones als zentrale Kommunikationsaktanten in der Bühneninfrastruktur, als Klang- und Lichtquellen sowie als Kameras genutzt. In einer eigens programmierten Netzwerkstruktur treten die Performenden mit sich und dem Publikum in Kontakt. Sie bewegen sich durch anarchische Live-Chatrooms, erleben Momente von Gemeinschaft und Isolation, grenzenloser Ausdrucksmöglichkeit, kollektiver Machtlosigkeit und Falschinformation. Und konfrontieren die heutige, multimodal vernetzte Kommunikationsgesellschaft mit Endlosschleifen einer vergangenen, eindimensionalen Telefonnutzung.

Im Lauf der Woche wurde eine kleine Bibliothek verschiedener historischer Avantgarde-Konzepte aus experimenteller Musik und Klangkunst ausgelegt, um über Möglichkeiten von Neuinterpretationen und Übertragungen auf heutige Mittel zu diskutieren. Auf sehr unterschiedliche Weise wurde sich zwei solcher Konzepte angenähert:
Alvin Luciers Queen of the South diente als Grundlage, um analoge Live-Visuals aus Klangwellen herzustellen und per Smartphone und Beamer sichtbar zu machen. In einem Multimedialabor wurde Klang erzeugt, mit Transducern in Wellenfelder und Wasserflächen übertragen, durch manuell geführtes Licht inszeniert, mit Smartphones abgefilmt und live projiziert.
Terry Jennings Piano Piece aus dem Jahr 1965 basiert auf so lange wie möglich gehaltenen Klavierakkorden. Das LJE entwickelte eine Interpretation für das gesamte Instrumentarium des Ensembles. Das lange Ausklingen der Klänge wird durch digitale Spectral-Freeze-Effekte hergestellt.

Kraftwerk, die zentrale Eigenproduktion der Arbeitsphase, ist eine live vertonte Videoarbeit. Mit Endoskop-Kameras erstellte Nahaufnahmen aus dem Innenleben der Instrumente werden gemeinsam zu einem 15-minütigen Stummfilm geschnitten, und in intensiven Improvisationssessions ein Live-Audio dazu entwickelt. Präzise Kamerafahrten und Beleuchtung mit Fokus auf mechanische Elemente der Instrumente sowie elaborierte Schnitttechniken und Effekte lassen mal surrealistische, mal futuristische Bilder von Maschinenräumen entstehen. Auf der Bühne treffen diese auf ihr Äußeres, ihre Hülle und die Körper, die sie bespielen.